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Erinnerungen an legendäres Holzspielzeug

Alle Jahre wieder präsentiert das Web-Museum Oederan Sonderausstellungen. Unter dem Titel Holzbaukästen aus Blumenau wird jetzt eine besondere Facette der Spielzeugmacherkunst vorgestellt. Christof Heyden hat für etv mit dem Chemnitzer Jürgen Reuter als Leihgeber der teils einzigartigen Ausstellungsstücke gesprochen.

etv: Die Oederaner Schau wird maßgeblich durch von Ihnen zur Verfügung gestellte Exponate ermöglicht. Wie kommt ein Chemnitzer an eine solch Sammlung mit teils einzigartigen Stücken? 
Jürgen Reuter: Ich bin einer der vielen Ur-Ur-Enkel von Carl Julius Reuter, dem Gründer der Baukastenfabrik E. Reuter Blumenau väterlicherseits. Aber auch Ur-Ur-Enkel von Louis Engel dem Gründer der Baukastenfabrik Louis Engel Blumenau mütterlicherseits.

Jürgen Reuter ist Leihgeber der Baukästensammlung. Foto: Christof Heyden

Nach dem beruflichen Ausscheiden aus dem Textilmaschinenjob 2013 hatte ich als Rentner Zeit für Dinge, die man vorher nicht machen konnte. Nach dem Tod meines Vaters Willy Reuter war eine umfangreiche Sammlung von Baukästen, Unterlagen, Bildern und Preislisten in meinen Besitz übergegangen.

Mein Ehrgeiz war es, dieses Material aufzubereiten und so habe ich schon seit 2015 manch Sonderausstellung wie z.B. im Chemnitzer Spielemuseum, im Eschemuseum in Limbach-Oberfrohna, im Heimatmuseum Olbernhau oder im niederländischen Modelspoor Sneek bestücken können.

etv: Für heutige Zeitgenossen ist es erstaunlich zu sehen, dass das kleine Örtchen Blumenau einmal in der Spielzeugwelt eine international angesagte Adresse war?
Jürgen Reuter: Blumenau war fast drei Jahrhunderte ein wichtiger Holzkohlelieferant für die Silberhütten in Freiberg. Nach dem Niedergang der Köhlerei Mitte des 19. Jahrhunderts in Blumenau entstand ein neues Gewerbe – die Baukastenfabrikation.

Carl Julius Reuter gründete 1860 die Baukastenfabrik Reuter, die sich dann zu einer weltbekannten Baukastenfirma mit einer Belegschaft von bis zu 145 Mitarbeitern in der Zeit um 1938 entwickelte. Auch weitere Gründer, wie Engel, Fritzsche und Neubert, gingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts diesen Weg und machten Blumenau zu einer Hochburg der Baukastenfabrikation. Vier Generationen wirkten in der Baukastenfabrik E. Reuter. Die fünfte, zu der auch ich gehöre, kann nur noch die Tradition bewahren.

etv: Als Kind der Familie dürften sie ja auf einem Berg von Holzbausteinen gesessen und mit ihnen gespielt haben?
Jürgen Reuter: Mit meiner Schwester durfte ich das neuentwickelte Spielzeug meines Vaters immer testen und so hatten wir immer die neuesten Holzspielsachen der Firma zur Hand. Die Schlosserei, die mein Onkel Kurt leitete, war ein Eldorado für meine Bastelarbeiten. Ich erinnere mich an das Zischen der Dampfmaschine, die Hitze im Heizhaus, der Lackgeruch der Trommelpoliererei, den Holzgeruch der Trockenkammern und an die Holzloren auf Schienen.

Die Weihnachts-Sonderausstellung 2021/2022 in Oederan widmet sich der Herstellung erzgebirgischer Holzbaukästen in der einstigen Hochburg Blumenau. Seit 1860 wurde dieses Spielzeug in riesiger Themenvielfalt gebaut. Foto: Christof Heyden

etv: Warum sind Sie nicht im elterlichen Unternehmen alt geworden?
Jürgen Reuter: Das war im Zuge der politischen Ereignisse nicht gegeben. So erfolgte bereits 1953 die Zwangsenteignung der Firma Louis Engel & Co. und 1972 die Zwangsverstaatlichung der bereits halbstaatlichen Firmen E. Reuter und C. Fritzsche. Für diese kam um 1993 ohnehin das endgültige „Aus“.

Insofern freue ich mich, dass seit 1995 die Firma Erzgebirgische Holzspielwaren Ebert GmbH wieder mit der Baukasten- und Spielzeugherstellung in Blumenau tätig, d.h. dieses Jahr werden seit 161 Jahren Holzbaukästen in Blumenau hergestellt. In Oederan zeigen wir die Entwicklung der Baukasten-Systeme, wie wir auf das Schicksal der Firmeneigentümer eingehen und auch Informationen zu Produktionseigenheiten geben.

Die Weihnachts-Sonderausstellung 2021/2022 in Oederan widmet sich der Herstellung erzgebirgischer Holzbaukästen in der einstigen Hochburg Blumenau. Seit 1860 wurde dieses Spielzeug in riesiger Themenvielfalt gebaut. Foto: Christof Heyden

etv: Welches ist Ihr ältester erhaltener Baukastensatz und kann man sagen, wie viele Baukästen in der Geschichte je hergestellt worden sind?
Jürgen Reuter: Der älteste erhaltene Baukasten stammt von 1870. Die zweite Frage ist nicht zu beantworten. Man bedenke, dass ja jeweilige Baukästen in einer Vielzahl Varianten gebaut worden sind. Es gibt Serien, in denen allein von einem Kastensystem über 50.000 Exemplare in einem Jahr hergestellt worden sind.

Das Jahr 1965 gilt als Zeitpunkt mit den meisten internationalen Kontakten. Mit englischsprachigen Drucksachen und Plakaten wurde in England und den USA geworben. Seinerzeit exportierte Reuter in 20 Länder der Welt. Die Blumenauer Hersteller waren eine feste Größe auf der Leipziger Messe und heimsten auch eine Vielzahl von Preisen ein.

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Autor

Christof Heyden
Christof Heydenhttps://www.erzgebirge.tv
in Chemnitz lebend, geb. 1961 in Pirna, Diplom-Kulturwissenschaftler Humboldt-Uni Berlin, seit 1993 Freier Journalist und Pressefotograf. Mailadresse: christof.heyden(at)erzgebirge.tv

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