Geschichte für die Sinne: Augustusburg entdeckt für sich die Sachsenfürstin Anna und macht ein spezielles Kapitel der Landesgeschichte schmackhaft.
Augustusburg. Im Rahmen eines sommerlich-launigen Stell-Dich-Eins wurde am Wochenende ein Kräutergarten am Fuße des Jagd- und Lustschlosses offiziell in Besitz genommen. Den verstehen die Einheimischen als ihre Referenz an die frühere Landesmutter. Die, blaublütige Prinzessin mit dänischen Wurzeln an die Elbe verheiratet, wird als profunde Kräuterexpertin geschätzt und gilt als erste Apothekerin ihrer Zeit in hiesigen Landen.
Im Zuge des Aufbaus des jetzt blühenden Kleinods reifte bei den Initiatoren der Stadt um Bürgermeister Dirk Neubauer die Idee, dem gärtnerischen Wirken der Kurfürstin und deren Bemühen um die Pflanzenheil- und Nahrungskunde intensiver auf die Spur zu gehen und in einem Büchlein zu würdigen. Das Stadtoberhaupt zeigte sich angetan, mit Reinhold Lindner als Autor ein Urgestein der Kulturschreibenden in der Region und zugleich einen Städtler für dieses Vorhaben gewonnen zu haben. Der Journalist und frühere Kultur-Ressortleiter der Tageszeitung Freie Presse wusste mit seiner heiteren und gleichermaßen faktenreichen Buchvorstellung am Freitagabend die anwesende Publikumsschar für den Kräutergarten zu sensibilisieren und die Neugier für das Werk „In Annas Gärten“ zu wecken.
Vielmehr noch zeigte der Autor seine in ungezählten Recherchestunden angewachsene Sympathie für die bemerkenswerte Frau an der Seite des Regenten August von Sachsen. Der Untertitel „Die sächsische Kurfürstin macht Staat“ verweist darauf, dass die Adlige der Frühen Neuzeit durchaus das Zeug einer umsichtig agierenden Regierungschefin mitbrachte und Führungsqualitäten ausübte, die heute vergleichsweise bei sechs Ministerien des Freistaats liegen würden. „Ohne sie hätte der Kurfürst alt ausgesehen“, zeigt sich der Mittachtziger schmunzelnd überzeugt.
Umso erstaunlicher sei es, dass sie in der sächsischen Geschichtsschreibung zu kurz komme. Reinhold Linder will sein Buch zur Entstehung des Kräutergartens daher vor allem als einen Beitrag für das Wirken der Kurfürstin Anna sehen. „Längst verweile ich als Schaulustiger regelmäßig in der Grünanlage. Dabei nehme ich immer wieder eine staunende Anmerkung wahr: Wer war Anna? Diese Unwissenheit muss aus der Welt geschaffen werden.“

Dafür gingen zweijährige akribische Quellenstudien voraus, stöberte Reinhold Linder in Archiven, sichtete Zeitdokumente, unternahm Forschungsfahrten nach Stolpen, Torgau und Annaburg. Auch Fachleuten und Bibliotheken der Prager Burg und des Nationalmuseums in Kopenhagen galten seine Besuche. „Im Ergebnis habe ich viel mehr thematisches Futter gefunden, als ich aktuell verarbeitet habe. Zugleich wurde mir klar, dass zur Person und ihrem Wirken längst nicht alles erforscht und erzählt worden ist, es noch vieles zu erzählen gibt.“
Insofern sieht Reinhold Linder mit den Initiatoren des Kräutergartens den geeigneten Anstoß gegeben, über die Pflanzenkunde hinaus eine taffe Sächsin für ihr kulturgeschichtliches und politisches Wirken vielmehr ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Dabei wolle man Anna nicht auf ein Denkmal setzen, sondern den Besuchern von Augustusburg ein lebensbejahendes Angebot im Grünen unterbreiten.
Und für die gibt es 75 Pflanzenarten von Anis bis Zwiebeln auf dem idyllisch hergerichteten Gelände des zuletzt allein wüsten Schulgartens an der urigen Burgmauer zu entdecken und zu schmecken. Sie allesamt kamen zur Zeit der Kurfürstin als Gewürz auf den Tisch oder halfen Leid zu lindern. „Kümmel etwa fand sich auf jeder Wiese um Augustusburg, bis in die 1950er Jahre wurde er hier noch vom Feld geholt“, erinnert sich Eberhard Meyerhoff.

Der frühere Gärtnermeister der Stadt zeichnet für die Geschicke fachlich verantwortlich. „Mit dem Kräutergarten vollziehen wir den umgekehrten Weg: Wir bringen Wald- und Wiesenpflanzen wie Salbei, Indianernessel und Ysop wieder in den Naturraum. Wir wollen der Landschaft etwas zurückgeben“, so der 69-Jährige zum Anliegen. Laut Überlieferungen habe ein Kräutergarten seinerzeit zum imposanten Bauwerk gezählt. Daher auch die in drei Sprachen ausgefertigten Schilder mit den Pflanzennamen: Neben Deutsch und Latein jene Begriffe der Renaissance, etwa Kram Kommel für Kümmel oder Quendel für Feldthymian.
Dass dies bereits zunehmend Anklang findet, wusste Bürgermeister Dirk Neubauer als Netzwerker zu bekräftigen. Allein bis zum Eröffnungsabend hatten seit Baubeginn 2018 unterdessen über die Google-Maps-Suche 35.000 Nutzer eine Navigationsanfrage zum Kräutergarten Augustusburg gestellt. „Wenn auch nur ein Teil davon zu uns auf Reisen geht, haben wir mehr als einen touristischen Erfolg zu verbuchen“, so der Stadtchef.