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Postkarten erzählen Stadtgeschichten

Der heutige Freitag steht im Zeichen des Schick-einem-Freund-eine-Karte-Tages. Die Idee: Versende eine Nachricht, um in Kontakt zu bleiben und sorge im Briefkasten für eine liebenswerte Überraschung.

Freiberg. Um Postkarten als eine Geste persönlicher Note zu verschicken, bedarf es für Rico Martinez keines Aktionstages. „Ich pflege auch in Zeiten der digitalen Nachrichten die Angewohnheit, an Weihnachten oder aus dem Urlaub einen handschriftlichen Bildergruß zu versenden“, so der Freiberger. Er verbindet damit seine größte Leidenschaft, denn er sammelt Postkarten. „Für mich haben diese speziellen Druckerzeugnisse noch immer eine große Faszination, erzählen sich doch auf spezielle Weise ein bisschen Zeitgeschichte“, so der 54-Jährige. Seine Heimatstadt Freiberg und deren Werdegang zu entdecken, etwas über Land und Leute zu erfahren, all das kann er mit den verschiedensten Motiven auf diesen Postkarten, ihrem Erscheinungszeitraum und dem jeweiligen postalischen Kreislauf tun. Ein Interesse, dass ihn seit seiner Jugend schon eingefangen hat.

„Ich habe mit eigenen Kartengrüßen zu sammeln begonnen und stöbere immer zielstrebiger nach neuen Exemplaren“, so Martinez. Er bevorzugt dabei Freiberger Motive, vor allem jene aus dem Umland. „Zudem interessieren mich thematische Angebote, etwa der Bergbau, das Baugeschehen oder touristische Erlebnisse.“ Unter anderen Sammlern, im Internet und bei Haushaltsauflösern, aber immer mehr unter Mitbürgern, die um sein Hobby wissen, wird er fündig. „Aktuell zähle ich rund 57.000 gesammelte Karten und geknipste Fotos, die Mehrzahl davon selbst gefertigt, die ich sortiere, digitalisiere und beschrifte.“

Tägliches Ritual: Sichten, Beschriften und Digitalisieren von Karten. Rico Martinez in Aktion. Foto: Christof Heyden

Längst lässt der Familienvater die Freiberger aber auch eine weltweit verstreute Community an seiner Leidenschaft teilhaben. Ob in Australien, Amerika oder Afrika – der Mittelsachse erreicht Interessierte in dem Falle nicht per Postsendung: „Seitdem es die sozialen Webkanäle gibt, pflege ich meinen Account“, sagt er. „Derzeit verfolgen knapp 12.000 Nutzer meine Beiträge.“ Im Normalfall stelle er nahezu täglich eine Postkarte oder einen Schnappschuss der Silberstadt ins Netz.

Neben bekannten Ansichten überrascht der Sammler seine Fans oft mit Ansichten, die aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind, die heutige Generationen altersbedingt nicht mehr kennen können oder die von Objekten zeugen, die längst abgerissen wurden. „Beim Anblick eines Motivs stellt sich zumeist eine individuelle Erfahrung ein, werden alle Sinne angesprochen“, weiß der Freiberger aus seinen Begegnungen. „So erinnern sich Käufer an die knarrende Holztreppe im ehemaligen Kaufhaus Konsument, steigt Passanten das Geräusch und der Geruch in die Nasen, als Dampfloks noch die Szenerie am Bahnhof bestimmten.„

Unterdessen hat sich der Sammler auch einen Namen als Autor von Bildbänden gemacht, die er in Eigenregie mit Unterstützung von Freiberger Akteuren herausgibt. „Bislang sind zwei Teile erschienen, die sich ‚Mein Freiberg- Im Wandel der Zeit‘ nennen“, berichtet der Autor. „Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ich die historische Stadtansichten den von mir im Heute gefertigten Schnappschüssen gegenüberstelle.“ Die auf 1.000 Exemplare limitierten und nummerierten Bände, die Rico Martinez als seine besondere Liebeserklärung an die Silberstadt sieht, sind längst mehr als ein Geheimtipp. Sie gehen weg wie warme Semmeln.

Rico Martinez hat für seine Serie Freiberger Ansichten Einst & heute dieses Motiv eines Grußes vom Freiberger Obermarkt 1965 gesammelt. Foto: Sammlung Rico Martinez

„Aktuell bin ich in der Endfertigung des dritten Buches“, sagt er. „Ich bin dabei, Korrektur zu lesen.“ Auch dieser Band soll Einblicke ins Stadtgetriebe geben. „Diesmal stehen die 1950er und 1960er-Jahre im Blickpunkt.“ Auf 130 Seiten werde wieder in die Geschehnisse der Stadt eingetaucht, sind bekannte Szenerien zu sehen, aber auch seltenere Schnapsschüsse. Dazu zählt etwa die frühere Jägerkaserne an der Lessingstraße, später als Arbeiter- und Bauernfakultät genutzt, geschmückt für die 1. Mai-Feierlichkeiten 1955.

Mit seinen Sammelstücken, zu denen er sich oft lokales Hintergrundwissen im Stadtarchiv vermitteln lässt, weiß er das Interesse von Unternehmen und Kultureinrichtungen zu wecken. Die wussten für ihre Öffentlichkeits- und Werbetätigkeit schon manche seltene historische Postkarte zu schätzen. (hy)

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Autor

Christof Heyden
Christof Heydenhttps://www.erzgebirge.tv
in Chemnitz lebend, geb. 1961 in Pirna, Diplom-Kulturwissenschaftler Humboldt-Uni Berlin, seit 1993 Freier Journalist und Pressefotograf. Mailadresse: christof.heyden(at)erzgebirge.tv

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