Lebt denn die alte Schachtziege noch?

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In der früheren Steinkohlestadt Oelsnitz ist der Schachtziege sogar ein Denkmal gewidmet, welches 2008 von Janusz Radtke geschaffen wurde. Foto: Christof Heyden

Angesichts der pulsierenden Traditionspflege im Erzgebirge rückt diese Frage in den Fokus des Lokaljournalisten: Was hat es mit dem Maskottchentier auf sich?

Stollberg. Schnorken zum Bergbaugeschehen wecken die Neugier beim schreibfreudigen Autor. Wie steht es eigentlich um den meckernden legendären Vierbeiner unter Tage? Gibt es angesichts verwaister Stollen und verrammelter Mundlöcher eine Urenkelgeneration der Schachtziege? „Alles kommt vom Bergwerk“ lautet schließlich der geflügelte Spruch. Manch Anekdote ist im Alltag verwurzelt, wie stets da mit der vom betagten Fellträger?

Zeitgemäß folgt der Griff zur Computer-Maus, um das virtuelle Netzwerk zu befragen. Tendenz der elektronischen Recherche: Bergleute glauben nicht an Geister, doch war ihr Tagwerk von manch Story bestimmt. Indes, ein authentisches Foto lässt sich in der Bilderwelt nicht finden.
Das Worldwideweb hält auch keine definitive Antwort bereit, aber einen Verweis auf Experten, wie Günter Behnert. Der einstige Hochschullehrer war Autor höchst unterhaltsamer Bergbaugeschichten, die er aus erster Hand einst als Hauer im Steinkohlerevier aufgeschrieben hat. Und der lieferte Fakten. Anno 1416 soll die Ziege in den Berg eingezogen sein, schreibt der Zwickauer von schelmischen Streichen in seinem Büchlein „Kohleberg und Weiberarsch“.
Die Bergleute hätten es satt gehabt, saure Ziegenmilch zu trinken. Denn, so deren Erfahrungen, ab 33 Metern Tiefe habe die Milch zu gären begonnen. Und um frische Milch trinken zu können, sei die Idee geboren worden, vor Ort eine Ziege zu halten. Leider ist der Bergmann nicht mehr persönlich zu befragen, hat Hammer und Schlegel für immer abgegeben. Zumindest die prima Illustrationen von Helmut Schürer lassen zumindest eine optische Ahnung von dem Unterkinnbartträger erahnen.

Weitere fachmännische Hilfe muss her: Heino Neuber, Museumsexperte. Schmunzeln beim Sammlungsleiter im Bergbaumuseum Oelsnitz. Einerseits ist er ein Mann mit Reputation in Sachen Bergbaugeschichte, andererseits durchaus um die Erbepflege und deren heiteren Elemente bemüht. Neuber kennt die Berichte, dass der Vierbeiner zwar nie gesehen, doch Generationen von angehenden Bergleuten zum Füttern geschickt worden sind. Die geleerten Krippen mit dem weg gefressenen Heu würden im Volksmund bis heute als schlüssiger Beweis gelten. „Doch: für Schabernack waren Bergleute immer zu haben, eine Enkelgeneration von Schachtziegen werden Sie vergeblich suchen“, resümiert Neuber, der wiederum eine weitere Adresse nennt: die von Helgard Schirrmeister, langjährige Mitstreiterin im Bergbaumuseum Oelsnitz.

Die spricht und schreibt von der „Schachtziesch“. Die 68-Jährige stellt klar, dass dieses Vieh nicht der Schutzpatron der Bergleute ist, wie sie es schon von Laien in Sachen Bergbau gehört habe. „Die Schachtziesch ist also ein Ulk, ein Symbol des Bergmannshumors.“ Während einer Führung im Museum würden Gäste die Ziege aber zu sehen bekommen: als Gips-Figur in der Gezähkammer stehend. Die Geschichten, die Führungskräfte den Besuchern in heiterer Runde dazu erzählen, hatten einst einen interessierten Herrn aus Franken sogar animiert, beim neuerlichen Besuch einen kleinen Beutel Heu für die Ziege mitzubringen. Die Museumsleute beschwören hammerhart, dass jener Gast es sehr ernst gemeint habe.

Im Bergbaumuseum Oelsnitz wird die Schachtziege thematisiert und ist symbolischer Führer für Kinder. Foto: Christof Heyden

Einen ernsten Eindruck verbreiten die Mitglieder des Landesverbandes der Bergmanns-, Hütten- und Knappenvereine Sachsen in ihrem Habit. Und die verstehen offensichtlich Spass in eigener Sache. Denn ein Blick in die Ausschreibungsunterlagen des wichtigsten Zunftwettbewerbes macht klar: regelmäßig geht es der Bergziege Jahr für Jahr traditionsbewusst ans Euter. Das Melken an einer hölzernen Spezialkonstruktion gehört zu einem historisch-sportlichen Mehrkampf, zu dem auch die Disziplinen „Hunt schieben, Nägel einschlagen und Holz schneiden“ gehören und Fotos gestandener Männer, knieend bei der flüssigen Handarbeit, beweisen diesen Aspekt der Erbepflege.

Die Quintessenz für den Reporter: Noch lebt sie, die Schachtziege, im Geiste und Herzen geschichtsinteressierter Zeitgenossen. Und in den Erzählungen der urigen Einheimischen. Und physisch in Form eines Holzgestells oder bronzenes Denkmal, als gezeichnetes Maskottchen im Museum oder als heitere Leselektüre.